Introvertiert im Vertrieb? 5 gute Gründe dafür

Veröffentlicht von Mario Büsdorf am

Der ideale Vertriebler ist extrovertiert. Er rennt ohne Hemmungen zu Neukunden und lässt erst locker, wenn der Vertrag unterschrieben ist. Solche Beschreibungen hat sicher schon jeder gehört, der im Vertrieb tätig ist. Doch was ist dran, dass der wahre Vertriebler eine Rampensau sein muss? Was ist denn mit den Stillen, den Leisen? Sind sie chancenlos? Dieser Beitrag zeigt 5 gute Gründe auf, warum Introvertierte sehr wohl erfolgreich im Vertrieb sind und wie wir gleichzeitig die Persönlichkeitseigenschaften von Extrovertierten als auch von Introvertierten für eine erfolgreiche Vertriebsstrategie nutzen können.

Freitagnachmittag, 15.00 Uhr. Stille im Büro. Die berühmte Stecknadel wäre jetzt sehr laut gewesen.

Insgesamt 5 Mitarbeiter aus dem Key Account Team sind schlagartig ruhig. Ich sehe in ernste und überraschte Gesichter. Bis auf eines. Die Dame lächelt. Nicht strahlend, eher ein Mona-Lisa-Lächeln, in sich hinein. Sie strahlt eine tiefe Ruhe und Zufriedenheit aus.

Was war geschehen?

Bis eben war es noch sehr lebhaft gewesen. Seit einigen Wochen begleite ich als Trainer ein Key-Account-Team in der Entwicklung der verkäuferischen Leistungsfähigkeit. Ein Fokusthema dabei: die Körpersprache. Eine der ersten Beobachtungen, die ich mache, ist, dass ein transparentes System zur Darstellung von Aufwand und Ertrag zur Kundenentwicklung fehlt. Wer mit mir arbeitet, weiß, dass ich ein großer Freund von Zahlen bin. Zahlen lügen nicht, genau wie die Körpersprache. Sie unterlegen oder widerlegen jedes Bauchgefühl. Also habe ich ein solches Bewertungssystem auf Basis der bestehenden Zahlen eingeführt.

An diesem Freitag schauen wir uns zum ersten Mal die Ergebnisse je Mitarbeiter an. Das Team besteht aus vier Herren und einer Dame. Ihre Aufgabe als Key-Accounter ist, die bestehenden Kunden zu entwickeln, also neue Produkte und Dienstleistungen zu platzieren, die Entscheidungsträger zu kennen und Beziehungen aufzubauen.

Für das erste Meeting rücke ich drei Faktoren in den Fokus: die Aktivitäten je Mitarbeiter/-in innerhalb des Netzwerks, die eigene Sortimentstiefe beim jeweiligen Kunden und den dort erzielten Ertrag. Die Kennzahlen sind optisch so aufbereitet, dass alle Mitarbeitenden und deren Werte sofort sichtbar sind.

Die Herren zeigen eine sehr selbstbewusste Körpersprache und jeder Einzelne beansprucht einen Spitzenplatz in der Auswertung für sich. Als ich die Folie mit den Ergebnissen zeige, tritt augenblicklich Stille im Raum ein.

Zu sehen ist, dass die eher ruhigere Dame aus dem Team in allen drei Kennzahlen mit großem Abstand vor den vier Herren liegt. Sie lächelt, die Herren drücken in ihrer Körpersprache deutlich Überraschung aus, gefolgt von Irritation.

Mir ist in den Wochen vorher bereits aufgefallen, dass die Kollegin sprachlich und in ihrer Körpersprache ein eher introvertiertes Verhalten zeigt, ihre männlichen Kollegen dagegen deutlich extrovertiert agieren.

Vereinfacht ausgedrückt: Extrovertierte stehen gerne im Mittelpunkt. Sie verhalten sich eher gesellig, sind verstärkt gesprächsaktiv und gehen leichter und schneller auf fremde Personen zu. Ihre Körpersprache zeigt enthusiastische, große Gesten, die mimischen Ausdrücke sind sehr lebendig und aktiv. Sie können in ihrem Auftreten und Handeln sehr energisch und bestimmt werden.

Introvertierte dagegen verkörpern das Bild des stillen und aufmerksamen Denkers. Ihre Körpersprache ist eher in sich gekehrt, ruhig und besonnen, nicht hektisch. Wobei sie nicht auf das Denken beschränkt sind, sie hören aufmerksam und interessiert zu. Da sie eher als passiv wahrgenommen werden, werden sie gerne in etwas lauteren Gruppen „übersehen“, wie auch in unserem speziellen Beispiel. Gerade im Vertrieb haben es Introvertierte schon mal etwas schwerer, wenn zum Beispiel die Führungskraft Introversion nicht erkennt oder fatalerweise mit Schüchternheit gleichsetzt.

Genau das führt dazu, dass ihre gute Arbeitsleistung „übersehen“ wird. Die Lauteren drängen sich mit Ihrer Körpersprache, ihrer Präsenz und ihren ausgeschmückten und auftrumpfenden Erfolgsgeschichten so in den Vordergrund, dass die Geschichten der „Leisen“ eher übersehen werden. Leider, denn dass Introvertierte im Vertrieb chancenlos seien, ist ein absoluter Mythos. Im Gegenteil: Sie sind oft sehr erfolgreich. Introvertierte hören den Lauten interessiert zu, um daraus etwas zu lernen und sich selbst verbessern zu können.

Das Introvertierte sehr erfolgreich sein können, zeigen ebenso prominente Beispiele von Marc Zuckerberg (Facebook), Tim Cook (Apple) und Angela Merkel. Hätten Sie diesen Personen eine introvertierte Persönlichkeit zugeschrieben? Ich zeige Ihnen nun auf, weshalb gerade Introvertierte im Vertrieb eine wichtige Position einnehmen.

Fünf Punkte machen Introvertierte gerade im Vertrieb so wertvoll

1. Introvertierte denken, bevor sie reden. Sie artikulieren sich reflektiert und sind von dem überzeugt, was sie sagen. Wer am Telefon mal einen „Dampfplauderer“ als Verkäufer hatte, der sich gerne reden hört, der weiß einen Verkäufer zu schätzen, der zuhört und interessierte Fragen stellt.

2. Introvertierte suchen nicht den schnellen, kurzen Erfolg. Sie suchen beim Kunden eher das tiefe Gespräch, um zu analysieren und zu verstehen. Gerade wenn es darum geht, die Motivation der beteiligten Personen zu begreifen, ist dies ein nicht zu unterschätzender Vorteil.

3. Sie sind interessiert. Und sie zeigen dies auch, sowohl sprachlich als auch in ihrer Körpersprache. Sie gelten als aufmerksame Zuhörer, sie bleiben gründlich und besonnen, auch wenn es vielleicht gerade hektisch wird. Sie geben ihrem Gesprächspartner ein Gefühl der Ruhe und Sicherheit.

4. Introvertierte sind offen für Informationen. Dazu zählt nicht nur das gesprochene Wort, sondern vor allem auch die Körpersprache des Kunden. Sie nehmen Mimik und Gestik aufmerksam wahr und sind so in der Lage, Emotionen und unausgesprochene Einwände deutlicher zu erkennen als beispielsweise ein extrovertierter „Dampfplauderer“.

5. Introvertierte geben Raum. Da sie interessierte Zuhörer und Fragesteller sind, hat ihr Gesprächspartner in der Regel einen höheren Redeanteil. „Intros“ zwängen ihre Meinung nicht auf, sie versuchen zu verstehen. Das hat oft die positive Folge, dass der Gesprächspartner sich wahrgenommen und verstanden fühlt. Das ist gerade in einer immer schnelleren und hektischen Zeit eine sehr angenehme Erfahrung für den Kunden zwischen all dem Kosten-, Zeit- und Leistungsdruck, der zu oft auf den Kunden abgewälzt wird. In Verbindung mit der sehr hohen Verlässlichkeit von Intros führt dies zu einem schnelleren Vertrauensaufbau. Und gerade das ist im Vertrieb eine äußerst wichtige Eigenschaft.

Introversion und Extraversion gelten in der Psychologie als Persönlichkeitsmerkmale. Kein Mensch ist entweder oder, wir haben alle immer beide Anteile in uns. Je nach Kontext kommt das ein oder andere stärker zur Geltung.

Bezogen auf den Verkauf bedeutet das, dass wir introvertierten Mitarbeitern den richtigen Platz in der Vertriebsorganisation geben müssen. Wir müssen die Stärken jedes einzelnen Mitarbeitenden kennen und verstehen und die Tätigkeiten darauf abstimmen. Als Hunter auf Neukundenakquise werden sie sich ungefähr so glücklich fühlen wie ein Pinguin in Afrika. Als Farmer im Kundenausbau dagegen sieht es schon viel besser aus.

Was ist der richtige Platz für introvertierte Vertriebler?

Überall dort, wo es auf eine langfristige, tiefe Kundenbindung ankommt, können Introvertierte auftrumpfen. Die Dame aus dem Key-Account Team ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Die Gründe für ihr sehr gutes Abschneiden gegenüber den Kollegen sind unter anderem:

Sie analysiert systematisch alle an den Entscheidungen beteiligten Personen und deren Körpersprache. Wo ihre selbstdarstellerischen Kollegen sich vielleicht auf den vermeintlich offensichtlichen Entscheider konzentrieren und schnell eine sogenannte „graue Eminenz“ übersehen, ist sie hingegen sehr gründlich.

Sie versteht die Emotions- und Motivationslage der beteiligten Personen. Körpersprache und vor allem Mimik zu beachten ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Das führt in Verbindung mit den tieferen, als sehr angenehm empfundenen Gesprächen, zu einer hohen emotionalen Bindung des Kunden.

Sie verschenkt nichts. Verkäufer nehmen vermeintlich kleine Dinge wie Skonto, Fracht und Verpackung, Mindestbestellwert oder Zahlungsziele gerne als Verhandlungselemente. Die Dame aus unserem Team dagegen stellt diese vermeintlich kleinen Positionen in die richtige Relation zu den zu erwartenden Vorteilen, die Ihr Kunde aus der Zusammenarbeit zieht. Das kann jedoch nur funktionieren, wenn der Kunde und seine Körpersprache, seine Motivation, seine Arbeitsprozesse, seine Werte und Visionen genau verstanden werden.

Denn hierum geht es im Verkauf. Der Kunde kauft nicht immer bei dem besten Anbieter, sondern dort wo er sich am besten verstanden fühlt.

Seien Sie also behutsam in der Beurteilung Ihrer Mitarbeitenden im Vertrieb. Beobachten Sie genau, wie die Stärken jedes Einzelnen in Ihrer Organisation zum Tragen kommen können. Die Körpersprache bietet hier den wichtigsten Anknüpfungspunkt und ist richtungsweisend für Ihren Erfolg im Vertrieb.

Umso besser wir die Mimik und Gestik des Kunden wahrnehmen und erkennen, desto größer wird auch die Abschlusswahrscheinlichkeit.

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Ich empfehle zum Einstieg das Seminar „Unausgesprochene Einwände erkennen“

PS: Interessant sind in diesem Zusammenhang auch meine Artikel Selbstsicher wirken als Frau im Verkauf und Körpersprache und Verkauf sowie der Artikel von Dr. Doris Märtin Warum leise Menschen in Asien mehr gelten.